Gesundheitsmanagement: „Kostenexplosion ist blanker Unsinn“
 
Die Tools sind die gleichen wie in der Industrie. Nur das „Produkt“ ist ungleich sensibler: Es geht um das Leben. Management der Menschlichkeit ist gefragt. Das Gesundheitswesen als Netzwerkorganisation.
 
 
 
Krankenhäuser – und ihnen übergeordnet das gesamte Gesundheitswesen – können nur als Netzwerkorganisationen gut funktionieren. Erfolgreiche Führung ist nur möglich, wenn die Subsysteme erfolgreich arbeiten. Manager eines Krankenhauses müssen zu einem großen Teil die Primar- und Oberärzte in Zusammenarbeit mit den Stations- und Oberschwestern sowie dem medizinisch-technischen Personal sein. Das Gesundheitswesen besteht jedoch nicht nur aus Krankenanstalten. Um diese zu entlasten, sollte auch die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten und sonstigen Einrichtungen verbessert werden und als Netzwerk funktionieren.
 
In diesen kurzen Ausführungen steckt nur ein Bruchteil eines Resümees zahlreicher hoch interessanter Ausführungen dieser Expertenrunde zu einem sehr komplexen Thema. „Bei aller nötigen Diskussion über ökonomische Probleme“, meint Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe, einem Spitalsverbund von sieben (Ordens-)Krankenhäusern in Wien, Linz und Ried, „muss man den Menschen die Sicherheit geben, dass die Gesundheit im Mittelpunkt steht. Es geht um ein Management der Menschlichkeit. In den Medien wird eine Diskussion für gesunde Menschen geführt. Was ist aber, wenn ich krank bin, dann will ich die beste Versorgung für meine Gesundheit haben. Damit werden ja Wahlen verloren.“
 
 
Neue Behandlungen kosten viel
„Die Rede von einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen ist der blanke Unsinn“, meint der Ärztliche Direktor des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien Prof. Reinhard Krepler, „die gibt es nicht und hat es nie gegeben. Die Kosten bestehender Leistungen sind im Gegenteil bedeutend gesunken. Auch durch die EDV-Unterstützung können wir sämtliche Leistungen des Jahres 1990 heute um einen Bruchteil der Kosten bereit stellen. Teuer sind neue Behandlungen. Die Therapie eines Kindes bei der seltenen Stoffwechselerkrankung Mucopolysacharidose Typ II etwa kostet pro Jahr 4,4 Mio. Euro alleine für Medikamente. Es ist rechtlich und ethisch nicht vertretbar, das nicht zu machen. Wir behandeln acht Kinder. Und das ist nur ein Beispiel am Rande.“
Michael Heinisch: „In der Abteilung für Onkologie im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz sind die Kosten für Medikamente in einem Jahr um 25 Prozent gestiegen. Wir operieren Menschen heute an den Gelenken und geben ihnen Gelenksersätze in einem Alter, wie das vor 20 Jahren noch nicht üblich war. Die Menschen wollen arbeits- und bewegungsfähig bleiben.“
Reinhard Krepler: „Man sieht nur die Operationskosten und die werden dem Gesundheitssystem zugerechnet. In Wahrheit wird das für die Gesellschaft billiger, die Einsparungen liegen nämlich woanders.“ Krepler betont, dass sich Ärzte hierzulande verstärkt als ganzheitliche Gesundheitsmanager verstehen sollten. In Schweden etwa würden Ärzte viel umfassender in das Sozialwesen integriert und auch bei der Planung von Büros, Werksanlagen oder Schulen miteinbezogen. Es gehe auch um psychisches und soziales Wohlbefinden, um Krankheiten schon in der Entstehung zu verhindern.
 
 
Die Mitarbeiter energetisieren
Hier schließt Johann Risak an, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Chemie Linz AG, der als Professor am Institut für Unternehmensführung der WU Wien das Change-Management am AKH seit vielen Jahren an der Seite von Reinhard Krepler ehrenamtlich begleitet: „Wir sprechen von Krankenhäusern, meinen aber das Gesundheitswesen. Es geht um Eigenvorsorge und Fremdvorsorge. Menschen müssten früh dazu gebracht werden, ein vernünftiges Leben zu führen, damit sie auch im Alter gesund sind. Das würde zu einer erheblichen Entlastung der Gesellschaft führen. Bei meiner Arbeit am AKH habe ich festgestellt, dass an den hoch gestochenen Zielen und der Strategie des Managements heute eigentlich nichts geändert werden muss. Wo es hakt, ist die Umsetzung. Übrigens auch die meisten Organisationen in der Wirtschaft schaffen es nicht, ihre Mitarbeiter so zu energetisieren, dass sie herausholen können, was da drinnen steckt. Am AKH gibt es alleine drei Dienstrechte, damit umzugehen, ist nicht leicht.“
Wie man als Mann der Wirtschaft (wie Michael Heinisch, der bis zu seinem Wechsel in die Vinzenz Gruppe vor sieben Jahren Leiter des Controlling in der VA Tech war) im Gesundheitswesen reüssieren kann? Dazu Marc Suppin, Senior Consultant bei Edward W. Kelly Executive Search, der als Jurist auch akademischer Krankenhausmanager ist und im Gesundheitswesen u. a. bei den Humanomed Privatkliniken und in der Vinzenz Gruppe arbeitete: „Man muss auf die Leute zugehen, ein Wir-Gefühl erzeugen, darf nicht zum ,Manager in Grau‘ werden, muss die Bereitschaft haben zu lernen und als Team zu agieren. Man kommt in eine reine Expertenorganisation mit einem komplexen Beziehungsgeflecht. Im Gesundheitswesen muss extrem viel in der Personalentwicklung getan werden. Da sind alle Beteiligten gefordert. Ärzte müssen sich mit strategischen Themen auseinander setzen. Für einen Gesundheitsmanager ist in erster Linie soziale Kompetenz erforderlich. Es braucht eine andere Art der Motivation als Geld. Und sehr viele Jobs werden eigentlich nicht angeboten. Die Gehälter liegen deutlich unter dem Schnitt in der Privatwirtschaft.“ Eine Kienbaum-Gehaltsstudie aus dem Jahr 2006 habe das mittlere Gehalt mit 132.000 Euro für einen Krankenhausmanager ermittelt.
Und wie steht es mit der Bereitschaft der Ärzte, sich als Manager zu betätigen? Reinhard Krepler: „An der Medizinischen Universität Wien wurde gerade der erste MBA-Lehrgang abgeschlossen. Das Interesse der Ärzte am Management ist sehr groß. Wir haben am AKHin der Vergangenheit 100 Ärzte zu Krankenhahausmanagern und 170 zu Qualitätsmanagern ausgebildet. Die Abgrenzung zwischen Managern und Ärzten, die sich nicht verstehen, ist Geschichte. Auch der Pflegebereich funktioniert, vor allem durch das Studium der Pflegewissenschaften, managementmäßig hervorragend. Ich bin als Arzt in das Management gewechselt, weil ich dort noch mehr für die Patienten erreichen kann. Dort liegt der stärkste Hebel für weitere Verbesserungen. Diesem Beispiel folgen immer mehr Ärzte. Außerdem ist der Arzt, der gut managen kann, im Endeffekt auch der bessere Arzt für seine Patienten.“
Michael Heinisch: „Entscheidend ist das Wertemanagement, das wir aufgebaut haben. Man muss dem Patienten sprichwörtlich auf Augenhöhe begegnen: Etwa wenn der Arzt bei der Visite am Bett des Patienten sitzt. Das ist ein Signal. Wie die Berührung.“
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 14.04.2007)
 

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