Leske + Budrich, 1. Auflage 2006, 438 Seiten, Bestellnr. 108614

Rezension

Die Arbeit von Wichard Puls hat sich zum Ziel gesetzt, zu untersuchen, ob Alkoholkonsum Folge einer spezifischen Belastungsstruktur im Erwerbsleben sein kann, die möglicherweise im Kontext gesellschaftlicher Umbrüche steht. Daraus leitet er Überlegungen ab, die im Rahmen einer betrieblichen Gesundheitsförderung für Maßnahmen der Suchtprävention genutzt werden können.

In der theoretischen Einführung erfolgt eine differenzierte Auseinandersetzung mit populärwissenschaftlichen Annahmen bezüglich des Suchtpotentials moderner Gesellschaftsformationen, und den vielfältig behaupteten Folgen von Alkoholkonsum bzw. -missbrauch in unterschiedlichen Dimensionen von Morbidität und Mortalität sowie dessen allgemeinen sozialen Folgen.

Den Ausgangspunkt der eigenen empirischen Studie bildet die Tatsache, dass trotz der vielfältigen, oft nur plausiblen Annahmen zu den hier referierten Zusammenhängen der kausale Einfluss von Stress auf den Konsum von Alkohol noch weitgehend strittig ist. Seine Studie versucht nun diese Lücke zumindest teilweise zu schließen und gleichzeitig anwendungsorientiert einen Beitrag zur Verbesserung der betrieblichen Praxis zu leisten. Hier betritt er insofern wichtiges Neuland, als sich im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung (z. B. bei den Employee Assistance Programs) die Erkenntnis durchzusetzen begonnen hat, dass Alkohol- und Suchtprävention als integraler Bestandteil von betrieblicher Gesundheitsförderung und Organisationsentwicklung zu betrachten ist.

Als zentrales Ergebnis einer ersten Studie lässt sich festhalten, dass insbesondere hochmotivierte Mitarbeiter, die eine starke Berufsorientierung aufweisen und deren Selbstwertgefühl wesentlich um Berufsarbeit zentriert ist, bei Enttäuschungen oder resignierten Reaktionen, bei hoher Änderungsresistenz der Arbeitsumgebung, aber auch bei drohendem Arbeitsplatzverlust Tendenzen zum Alkoholismus entwickeln. Hier könnten wichtige Ansätze zu einer gezielten Suchtprävention am Arbeitsplatz liegen, die vom Autor im Abschlusskapitel weiter ausgeführt werden. Zukünftige Forschungen könnten hier allerdings auch unter Rückgriff auf neuere Ansätze der psychologischen Gerechtigkeitsforschung einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung solcher organisationalen Ungleichgewichte sowie der Minderung gratifikationskritischer Situationen leisten und damit implizit einen möglicherweise umfassenderen Ansatz der betrieblichen Alkoholprävention gewährleisten.

Eine zweite Untersuchung orientiert sich an der klassischen Studie von Cooper et al. aus dem Jahre 1990, in der kein allgemeiner Zusammenhang zwischen Arbeitsstress und Alkoholkonsum nachgewiesen wurde. Diese Studie hatte einen erheblichen Einfluss auf die Diskussion um Alkoholprävention am Arbeitsplatz, sie bestritt nämlich die Relevanz primärpräventiver Interventionen zur Stressreduktion am Arbeitsplatz. Puls kann dagegen die meisten Ergebnisse von Cooper nicht replizieren, lediglich zwischen Zeitdruck am Arbeitsplatz und dem Konsum von Alkohol findet er Zusammenhänge. Die Hinzunahme des gratifikationstheoretischen Konzepts sowie der Moderatorvariable Wirkungserwartungen an den Alkoholkonsum erhöht die Aussagekraft, allerdings zeigt sich kein Zusammenhang mit Alkoholkonsum generell (z. B. am Wochenende, sondern lediglich mit dem aktuellen Alkoholkonsum in der Arbeitswoche), was sich durch die Differenzierung von konvivialen und utilitaristischen Konsummustern erklären lässt.

Die Ergebnisse der dritten Untersuchung sind insofern interessant als sie eine clusteranalytische Gruppierung der Stressverarbeitung vornehmen. Danach unterscheiden sich Probanden mit riskantem Alkoholkonsum von jenen mit moderatem Konsum dadurch, dass sie eher bemüht sind, nach aktiven Lösungen der Situation zu suchen, d. h. stärker problemorientierte Lösungsstrategien bevorzugen. Der Widerspruch zwischen diesen Ergebnissen und entgegengesetzten Positionen in der Alkoholismusforschung wird vom Autor thematisiert und differenziert diskutiert.

Die von Wichard Puls vorgelegte Arbeit besticht durch ihre breite theoretische Fundierung, ihre methodenkritische Grundorientierung sowie durch den Überblick, den sie über ein weitgehend unübersichtlich gewordenes Forschungsfeld bietet. Die Hypothesengenerierung ist plausibel, die Operationalisierung der einzelnen untersuchten Konstrukte nachvollziehbar und die Diskussion der Ergebnisse nicht immunisierend gegenüber alternativen Erklärungsansätzen. Der Autor hat damit eine hervorragende Arbeit vorgelegt, die den Forschungsstand zum Zusammenhang von Arbeitsbedingungen und Alkoholkonsum beträchtlich erweitert und m. E. die wissenschaftliche Debatte vielfältig positiv beeinflussen kann.

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