Nachmittagspause mit vielen Hürden

Die Public-Health-Expertin Daniela Haluza von der MedUni Wien ist im Hinblick auf die anhaltende Hitze für eine breitangelegte Diskussion über das Thema Siesta und darüber hinaus: „Damit man sich wirklich überlegt, wie man in den nächsten Jahren und Jahrzehnten arbeiten und lernen“ könne, sagte sie im Gespräch mit ORF.at. Sie betont, dass die Möglichkeiten in der Arbeitswelt „nicht für alle gleich“ seien, da es bereits jetzt Menschen mit flexiblen Arbeitszeiten gibt, die nach Belieben eine Siesta einlegen können.

Dann gebe es aber zahlreiche Berufsgruppen, bei denen das derzeit unmöglich sei. Hier brauche es einen „gesamtgesellschaftlichen Diskurs“, der aber „politischen und sozialen Willen“ voraussetzt, denn es müsse „sehr viel umgestellt“ werden, so Haluza. Sie erinnerte etwa an die Öffnungszeiten von Geschäften – und gleichzeitig an die Situation in Spitälern, die wohl kaum auf ausgedehnte Siesta setzen könnten. Deshalb sei es auch schwierig, Empfehlungen zu geben, die für die gesamte Gesellschaft gelten könnten.

Lange Pause, lange Arbeitszeiten

Haluza verweist auch auf den allgemein veränderten Tagesablauf, Menschen würden durch die Siesta zwar ausgedehnt pausieren, dann aber umso länger arbeiten. Und auch ein früherer Arbeitsbeginn würde das Problem mit der Hitze nicht lösen, weil man nach voller Arbeitszeit dann erst recht durch die Hitze fahren müsste. Und das sind alles Problemstellungen, die sich mit der „fitten arbeitenden Bevölkerung“ auseinandersetzten. Klimavulnerable Gruppen von Menschen mit Behinderungen bis hin zu Schwangeren würden in der Debatte häufig gar nicht erst angeführt.

Neben veränderten Arbeitszeiten müsse man über diese allgemein nachdenken, so Haluza, und Gedanken über Produktivität anstellen: Häufig gehe es ja letztlich um den „Outcome“ und nicht darum, eine bestimmte Anzahl von Stunden abzusitzen. Der reine Fokus auf Arbeitszeit sei für sie daher „total überholt“ und neue Arbeitszeitmodelle „eine Chance für alle Arbeitenden“. ÖsterreichObere kritische Temperatur bei 50 Grad

Klimakrise als „ein Puzzlestein von vielen“

Die Pandemie habe unterdessen die Arbeitsmöglichkeiten deutlich erweitert, so Haluza, die neben dem Homeoffice auch auf das Lernen von daheim verweist, das mit der Pandemie auch hierzulande Einzug gefunden hat. Die Arbeitswelt habe sich jedenfalls verändert – und erfahre Druck nicht nur von außen, also etwa durch die Klimakrise, so die Expertin. Umgekehrt gebe es auch Druck von innen, weil man Positionen ohne das Anbieten von flexiblen Arbeitszeiten gar nicht mehr füllen könne, so Haluza. Die Klimakrise sei also nur „ein Puzzlestein von vielen“.

Kritisch sieht Haluza, dass Gesundheit und Wohlbefinden leider nur ein „minimaler Anteil“ an der derzeitigen Diskussion hätten, weil es in erster Linie immer um ökonomische Aspekte gehe. Gleichzeitig wolle man aber Menschen „möglichst lange fit im Arbeitsleben halten“ – und Menschen werden immer älter, auch das müsse bedacht werden.

Deutschland debattiert über Siesta

In Deutschland ist das Thema jetzt jedenfalls in der Politik angekommen. „Siesta in der Hitze ist sicherlich kein schlechter Vorschlag“, schrieb Deutschlands Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Dienstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter zu einem entsprechenden Vorstoß des Vorsitzenden des deutschen Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Johannes Nießen.

Nießen sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Dienstag-Ausgaben): „Wir sollten uns bei Hitze an den Arbeitsweisen südlicher Länder orientieren: Früh aufstehen, morgens produktiv arbeiten und mittags Siesta machen ist ein Konzept, das wir in den Sommermonaten übernehmen sollten.“

Der SPD-Politiker sieht in der Frage allerdings nicht die Politik gefordert. „Das sollten aber Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst aushandeln“, so der Gesundheitsminister. „Medizinisch sicher für viele Berufe sinnvoll.“ FDP-Gesundheitspolitiker Lars Lindemann sagte: „Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Arbeit in vollem Umfang – trotz Siesta – erledigen, kann der Vorschlag von Johannes Nießen das Arbeiten an sehr heißen Tagen erleichtern, die Arbeitsleistung verbessern und obendrein den Gesundheitsschutz erhöhen.“

Spanien als Vorbild in Deutschland

Mit dem Vorstoß zur ausgedehnten Mittagspause orientiert sich Deutschland an Spanien – dort ist die Siesta durchaus üblich. Wenn die Hitze am größten ist – also üblicherweise zwischen 14.00 und 18.00 Uhr –, zieht man sich zurück. Büros machen dann längere Pausen, in den meisten Geschäften werden „Geschlossen“-Schilder aufgehängt. Anders als früher gibt es inzwischen in Spanien zwar fast überall Klimaanlagen, aber die Tradition hält sich.

Während der Siesta halten allerdings heutzutage die wenigsten Spanierinnen und Spanier noch wie früher ein Mittagsschläfchen. Man geht ins Fitnessstudio oder ins Schwimmbad oder isst mit Familie oder Kollegen ausgiebiger. Dafür muss man abends natürlich länger arbeiten. Auch in anderen warmen Ländern Europas ist die Pause zur heißesten Zeit des Tages üblich – von Griechenland über Süditalien bis nach Portugal.

Noch kein Thema in heimischer Politik

In Österreich ist das Thema in der Vergangenheit immer wieder angesprochen worden: Umweltmediziner Hans-Peter Hutter forderte eine derartige Pause nach spanischem Vorbild, zuletzt sorgte auch ein Tweet, der „Siesta normalisieren“ forderte, für zahlreiche Diskussionen.

Aus der Politik gab es bisher jedoch wenige Reaktionen auf die Arbeitsbedingungen in der enormen Hitze – das Gesundheitsministerium verwies auf Anfrage auf das Arbeitsministerium, dort läuft eine Anfrage aktuell noch.

Die Arbeiterkammer (AK) zeigte sich auf Anfrage von ORF.at eher zurückhaltend, was eine Siesta anbelangt: Natürlich stelle sich die Frage nach der Gestaltung der Arbeitszeit, hieß es, außerdem liege es in der Verantwortung der Arbeitgeber, dass „der Arbeitsplatz nicht gesundheitsgefährdend“ sei, so Sybille Pirklbauer. Hier werde auf geteilte Dienste verwiesen, die es in einigen Branchen schon bisher gab – vor allem die Frage „Was tun mit der Zeit?“ ließe sich oft nicht beantworten, weil die Zeit zwischen den Diensten für viele nicht ausreichend nutzbar sei. Die AK pocht in erster Linie auf eine neue, verkürzte Vollzeit, die auch die Belastung durch Hitze reduzieren würde, hieß es weiter.